Platz da! Für die neue City!

Krisen wie Corona, Tuberkulose, Cholera haben eines gemeinsam: sie beeinflussen die Art und Weise wie wir Städte planen. Der Cholera verdanken wir die Kanalisation, der Tuberkulose Fenster, die zu öffnen sind. Und Corona? Wir haben gelernt, dass uns die Innenstädte nicht mehr viel zu bieten haben. Profitgier hat zu Beton- und Asphaltwüsten geführt. Dazu verursachen die Städte laut UN mehr als 60 Prozent des weltweiten Treibhausgas-Ausstoßes, obwohl sie nur zwei Prozent der Erdoberfläche ausmachen.

Schließung von über 50.000 Geschäften

Corona hat für viele Innenstädte wie ein Brandbeschleuniger gewirkt. Den Überlegungen der Politik und aller Akteure wird zum Beispiel in Bremen „zu viel Bräsigkeit und Mutlosigkeit“ attestiert. Gesetzt hat man vor Ort primär auf das Einkaufen in Filialen wie Esprit, Gerry Weber, Kaufhof und Co. Und genau diese schließen jetzt: der Handelsverband Deutschland schätzt, dass es am Ende bundesweit mehr als 50.000 sein werden. So abwegige Ideen wie die von den Linken in Berlin, staatliche Kaufhäuser zu betreiben, zeigen eher, dass die Problematik der Innenstädte nicht verstanden wurde.

Wie wollen wir leben?

Diese richtige Frage stellten sich zum Beispiel die Bürgermeister in Barcelona und Kopenhagen. Sie planten ihre Städte nicht mehr vorwiegend als Einkaufszentrum und für Autos, sondern für die Menschen. Der dänische Star-Architekt und Stadtplaner Jan Gehl sagt: „Wie haben die Städte geplant, als wollten wir Autos glücklich machen. Dabei sollen die Städte doch Menschen glücklich machen.“ Zumal jeder Kilometer, der mit dem Fahrrad zurückgelegt wird ein Gewinn von 25 Cent darstellt, während ein Autokilometer 17 Cent kostet.

Die 15-Minuten-Stadt

Professor Carlos Moreno von der Sorbonne in Paris prägte den Begriff der 15-Minuten-Stadt. Dabei verteilen sich die Bereiche Wohnen, Arbeiten, Freizeit und städtische Einrichtungen gleichmäßig über das Stadtgebiet, sodass sie innerhalb von 15 Minuten zu Fuß oder per Fahrrad zu erreichen sind. Doch es geht nicht nur um die kürzesten Wege, sondern um eine Aufenthaltsqualität, die die Menschen als soziales Wesen wieder zusammenführen.

Oft ist ein pragmatischer Ansatz der beste: So sind in Barcelona die sogenannten „Superilles“ entstanden. Neun Straßenblöcke wurden zusammengefügt und für den Durchgangsverkehr gesperrt. Doch nicht wie in Deutschland üblich mit rotweißen Barken, sondern mit Pflanzenkübeln, Bänken, Skulpturen und Spielplätzen. Zeitgleich legte man breite Fahrradwege und Grünanlagen mit Picknicktischen an. Und siehe da, die angrenzenden Geschäftsleute machen mehr Umsatz. Die alarmierende Luftverschmutzung sank, da sich auch bei hohen Temperaturen keine „Asphaltsauna“ mehr entwickelte.

Singapur plant Waldstadt

In Singapur denkt man größer: der Anteil der Grünflächen ist inzwischen auf die Hälfte der Stadt angewachsen. Bis Ende 2030 sollen 80 Prozent aller Gebäude der Stadt grün sein. Die Tatsache, dass es in Singapurs Waldgebieten zehn Grad kühler ist als in der dicht bebauten Innenstadt, hat zu dem Vorhaben der Waldstadt Tengah geführt. Auf dem 700 Hektar großen Gelände werden 42000 Wohnungen entstehen. Autos fahren nur noch unterirdisch und die Kinderspielplätze sind von Regenwaldvegetation umgeben. Da Klimaanlagen ein Drittel der Emissionen ausmachen, soll kühles Wasser durch die Rohre gepumpt werden – damit werden die Anlagen überflüssig.

Platz für Ideen und Experimente?

Immerhin ist man beim Deutschen Städtetag schon so weit zu sagen: „Um Leerstand zu begegnen, braucht es auch kreative Ansätze“ so Markus Lewe, Vizepräsident des Deutschen Städtetages. Die zentralen Forderungen beschränken sich jedoch auf allgemeine Themen wie Digitalisierung, Wirtschaftshilfen, Entbürokratisierung etc.

Immerhin fordert die Immobilienwirtschaft ein sogenanntes „Mixed-Used-Konzept“, indem die Trennung von Einkaufen, Wohnen und Leben aufgehoben werden soll.

Das Fraunhofer-Institut hat eine Initiative gegründet mit dem Titel „Innenstadt 2030+“, um die unterschiedlichen Akteure an den Tisch zu holen.

Aber reicht für solche Maßnahmen die Zeit noch? Wo finden wir mutige Bürgermeister, Landräte etc., die pragmatisch Lösungsansätze verwirklichen, messen und verbessern? Es gibt doch schon zahlreiche internationale (und auch ein paar nationale) Beispiele, die erfolgreich umgesetzt wurden. Ein Hindernis ist momentan noch die Tatsache, dass die Eigentümer von Immobilien sich von den bislang zu erzielenden Preisen verabschieden müssen – aber das betrifft alle Cities gleichermaßen und zwar europaweit!

Letztendlich führt die Akzeptanz einer tiefgreifenden Veränderung in den Innenstädten bei allen Beteiligten auch zu neuen Gestaltungsmöglichkeiten. Durch Corona wurde die Verödung der Innenstädte beschleunigt. Hier könnten wir durch pragmatisches Handeln beweisen, was Entbürokratisierung heißt. Und wer weiß, vielleicht wird Deutschland dann doch noch Vorreiter für andere Länder. Albert Einstein hat es auf den Punkt gebracht: „Die Definition von Wahnsinn ist, immer wieder das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten“. Wir haben es in der Hand: Nicht der Onlinehandel hat die Innenstädte zerstört, sondern fehlendes Umdenken in der Stadtplanung.

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