Es wird viel geredet von #Industrie 4.0, von Bots, von KI (Künstlicher Intelligenz) und auf der Cebit davon, wie die Arbeitswelt schon heute und ganz besonders in den nächsten Jahren aussehen wird. Wir wissen, dass unsere Kinder und Enkel im Alter von 38 Jahren schon über 10 Jobs gehabt haben und Dinge, die im ersten Semester gelehrt werden, im fünften schon überholt sein können. Alle diese Diskussionen scheinen jedoch an unserem Bildungssystem relativ spurlos vorüberzugehen. Das einzige, was übrig geblieben scheint, ist die ewige Diskussion um G8 oder G9, den Leistungsdruck der Lehrer und Schüler und marode Schulgebäude. Liegt also die Zukunft der Bildung bei Google, Apple, Facebook und Amazon? Oder wie kann man Ansprüche von Schule und Wirtschaft miteinander verknüpfen und dem Paradigmenwechsel begegnen?
Die Kreidezeit ist vorbei?
Alle Diskussionen scheinen sich auf die Digitalisierung des Unterrichtes zu stürzen, denn sie ist vergleichsweise einfach umzusetzen. Auch wenn dadurch neue juristische Fragen über Urheberrechte entstehen. Gegenwärtige Erkenntnisse zeigen, dass der Lehrer bzw. Dozent mehrere Sinne ansprechen sollte (akustische Reize verbunden mit optischen, auch mal was Handgeschriebenes auf ein Flipchart oder ein elektronisches Board in Verbindung mit von Schülern/Studenten selbst erarbeiteten didaktischen Einheiten). Man sieht, es ist Bewegung in der Bildungslandschaft, die (Tafel-)Kreidezeit ist endgültig vorbei.
Jedoch beschränkt sich die Lehre zu sehr auf den zu vermittelnden Stoff – der Mensch verändert sich aber viel stärker in seiner sozialen Interaktion durch die Digitalisierung: Urlaubsplanung per Airbnb, Datingportale, Snapchat, WhatsApp etc. sorgen für ein anderes soziales Miteinander. Gleichzeitig verändert die Technologie die Arbeitswelt in dramatischer Art und Weise. Doch wer bereitet die Schüler und Studenten darauf vor?
Responsive Bildung für die Wirtschaft 4.0?
Wir kennen den Begriff Responsive aus dem Bereich Design. Responsive bedeutet z.B., dass sich eine Website auf die jeweiligen Devices (PC, Tablet, Smartphone) anpasst. Aber auch Bildung sollte responsive sein – sich dem Wissensfluss der Gesellschaft und Wirtschaft anpassen. Dazu müssen jedoch alle bürokratische Hürden überwunden werden. In der Strategischen Führung nennt man die Anforderungen auch abgekürzt VUCA (Volatility = Unbeständigkeit, Uncertainty = Unsicherheit, Complexity = Komplexität, Ambiguity = Mehrdeutigkeit). Man könnte sie auch als das neue Betriebssystem unserer Gesellschaft bezeichnen, das in immer kürzeren Zeitabläufen sich verändernde soziale Muster erzeugt. Jeder Mensch muss deshalb wie in einem Open Innovation Prozess seine Kompetenz ständig neu entwickeln.
Will man diesen Anspruch erfüllen, ist jedoch mehr als das bisherige „Social Learning“ erforderlich, es bedeutet ein Denken in komplexen Netzwerkstrukturen. Denn das Wissen verändert sich ununterbrochen, eröffnet neue Chancen und verkürzt Prozesse in wirtschaftlichen Strukturen. Dabei ist unbestritten, dass der Wert des Wissens konstant bleibt, jedoch seine ökonomische Verwertbarkeit sich verändert hat. Disruptive Technologie sorgt für das Aussterben ganzer Berufszweige.
Gesamtkompetenz versus Employability
Es gibt immer noch sehr viele arbeitsmarktbezogene Programme bzw. Ausbildungen/Studiengänge. Doch die Wirtschaft benötigt heute schon Kernkompetenzen, die in den Lehrplänen so nicht auftauchen: Neuartiges und adaptives Denken, disziplinenübergreifendes Arbeiten, Soziale Intelligenz, rechnergestütztes, analytisches Denken, das Managen kognitiver Belastung, interkulturelle Kompetenzen, virtuelle Zusammenarbeit, Design-Mindset etc.
Unser Bildungssystem sollte deshalb nicht nur den neuen Medien genügen, sondern auch die Didaktik, die Art und Weise, wie Wissensvermittlung stattfindet, muss sich stark verändern. Die Kernfrage dabei lautet: was muss der Absolvent nach Ausbildung bzw. Studium können, welche Kompetenzen hat er? Employability ist dabei viel zu kurz gegriffen, denn was heute als Arbeitsmarktfähigkeit gut ist, kann schon morgen überholt sein. Deshalb ist die Fähigkeit, sich permanent neuen Herausforderungen anzupassen ein viel wichtigeres Feld.
Freelance Ökonomie bedeutet selbst aktiv werden
Nach wie vor gehen die Ausbildungsstätten davon aus, dass z.B. Absolventen von Universitäten in ein solides Angestelltenverhältnis entlassen werden. Leider sieht die Welt heute anders aus: Aufgrund der VUCA-Ökonomie werden die Wissensarbeiter zu Mikrounternehmern, Freelancern oder temporären Mitarbeitern. Sie bestimmen dadurch einerseits selbst, wie viel sie verdienen und wann und wo sie arbeiten wollen, der Sozialstaat hat dadurch aber endgültig ausgedient. Jeder zweite Arbeitnehmer wird seinen Arbeitsmodus wechseln – diese Prognose gilt schon für das Jahr 2020!
Sind unsere jungen Leute darauf vorbereitet? Weiß die Generation Z, dass die digitalen Technologien auch ihr Tempo bestimmen und nicht nur das der Community? Wer bereitet sie auf den autonomen Lernprozess vor? Haben die Wissensvermittler überhaupt eine leise Ahnung von den institutionellen Gegebenheiten auf dem Arbeitsmarkt?
Open Education – Pädagogen in die Wirtschaft?
Wie sollen Pädagogen/Dozenten #Bildung ganz neu denken, wenn sie in den bestehenden Strukturen des Bildungssystems arbeiten? Das vorhandene System engt durch überbordende Bürokratie und enge Schemata ein. Sprechen wir über Bildung 4.0 muss man sich trauen auch über Open Education zu sprechen. Das soll nicht heißen, jeder macht, was er möchte, sondern das Bildungssystem öffnet sich grundlegend und vermittelt die genannten Kompetenzen.
Bisher werden Begriffe wie „Lebenslanges Lernen“ als gängige Worthülsen solange bedient, bis sie durch ein anderes Wort ersetzt werden, die Strukturen und Systeme bleiben jedoch gleich.
Vielleicht klingt es ja zu revolutionär: Warum denkt keiner darüber nach, Pädagogen/Dozenten jährlich 4 Wochen in unterschiedliche Unternehmen zu schicken, um die Herausforderungen besser verstehen zu lernen und damit auch die Unterrichtsinhalte sinnvoller erarbeiten zu können? Dafür müssten natürlich entsprechende Freiräume geschaffen werden. Mit dieser Maßnahme könnten Pädagogen/Dozenten selbstbewusster ihre Didaktik und ihre Ziele vertreten. Es würde in vielen Bereichen ein aktiver Wissensaufbau entstehen: in der Ökologie und der Finanzwelt, in der IT, im Data Mining etc. Denn diese wechselseitige Weiterbildung macht den Lehrenden zum Lernenden. Für unser Bildungssystem wäre es eine große Chance, den Massenbedarf an dynamischer Bildung zu decken. Solche flexiblen Plattformen sind notwendig, auch wenn sie den föderalen Förderstrukturen widersprechen. Dieses Dilemma muss jedoch ohnehin gelöst werden, wollen wir weiterhin wettbewerbsfähig bleiben.