Wer hat in den Sondierungsgesprächen versagt? Was bringen die erneuten Verhandlungen über eine Große Koalition? Fragen, die nicht so leicht zu beantworten sind. Der Bundespräsident hat alle Beteiligten zur Verantwortung aufgerufen – aber genügt das? Wie kann man diese wenig aussichtsreichen Gespräche zum Erfolg führen? So komplex und kompliziert sind diese Dinge eigentlich nicht und manchmal muss man sich auf das Einfache besinnen. – Eine konstruktive Analyse
Wie sinnvoll ist positionsbezogenes Verhandeln?
Die Verhandlungspartner bei den Sondierungsgesprächen haben sich offensichtlich nicht auf ein Verhandlungsverfahren geeinigt und waren so zum Scheitern verurteilt.
Denn Verhandlungen spielen sich auf zwei Ebenen ab: 1. Die Ebene der Substanz – worum geht es eigentlich? 2. Die Ebene des Verfahrens – wie wird mit dem Verhandlungsgegenstand umgegangen?
Auf der Ebene des Verfahrens ergeben sich dann zwei Möglichkeiten des Verhandelns: a) positionsbezogen b) sachbezogen
Bei positionsbezogenem Verhandeln nimmt jeder Verhandlungspartner eine relativ feste Position im Gespräch ein und versucht diese so gut es geht zu verteidigen. Bei dieser Verhandlungsweise treten viele Probleme auf:
- Das Ego des Verhandlungspartners identifiziert sich zu stark mit der zu vertretenden Position
- Das Gerangel und Feilschen um diese Position behindert die Verhandlung und macht sie ineffizient
- Das Positionsgerangel macht auch künftige Beziehungen schwierig
- Besonders bei mehreren Parteien ist positionsbezogenes Verhandeln schwierig
- Nettsein ist hier keine Lösung
Schon bei der Aufzählung dieser Punkte ist klar, warum die Verhandlungen nicht von Erfolg gekrönt waren. Denn augenscheinlich waren einige Beteiligte mit genau diesem Verfahren in die Gespräche gegangen.
Sachbezogenes Verhandeln ist eine weltweit anerkannte Methode von William Ury. Man kann die Vorgehensweise schnell auf den Punkt bringen: Hart in der Sache – weich zu den beteiligten Menschen. Folgende Punkte sind die Grundlage:
- Menschen und Probleme getrennt voneinander behandeln
- Auf Interessen konzentrieren, nicht auf Positionen
- Entwickeln von Entscheidungsmöglichkeiten zum beiderseitigen Vorteil
- Auf der Anwendung neutraler Beurteilungskriterien bestehen
Die Geschichte vom Kamel
William Ury ist ein exzellenter Verhandlungsberater, hat in Yale studiert und in Harvard promoviert. In den letzten Jahrzehnten war er als Verhandlungsberater und Mediator bei großen Konflikten (z.B. Nahost) tätig. Er erzählt folgende Geschichte: Ein Vater hinterließ seinen drei Söhnen siebzehn Kamele. Dem ersten Sohn vererbte er die Hälfte, dem zweiten Sohn ein Drittel und dem dritten Sohn ein Neuntel der Kamele.
Die drei Söhne begannen zu verhandeln. Die Zahl siebzehn lässt sich nicht durch zwei, nicht durch drei und nicht durch neun teilen. Die Brüder zerstritten sich und befragten bei ihren aussichtslosen Verhandlungen eine weise alte Frau. Sie sagte: „Ich weiß nicht, ob ich euch helfen kann, aber wenn ihr wollt, könnt ihr mein Kamel haben.“ So hatten die drei Brüder achtzehn Kamele. Der erste Sohn nahm sich die Hälfte, also neun Kamele. Der Zweite ein Drittel – sechs Kamele! Der Dritte schließlich ein Neuntel, somit zwei Kamele. Zusammen ergibt das siebzehn Kamele. Sie hatten nach dem Teilen ein Kamel über, das sie der alten Frau zurückgaben.
Regierungsgespräche ohne Aussicht?
Was hat das mit den politischen Verhandlungen zu tun? Sehr viel – denn alle Parteien starten auf der Basis von siebzehn Kamelen – scheinbar ohne Lösungsweg. Bei ihren Gesprächen wäre es sinnvoll, dass alle (und nicht nur der Verhandlungsführer) einen Schritt zurücktreten und die Situation mit neuen Augen betrachten – Menschen und Probleme getrennt behandeln – und mit dem achtzehnten Kamel aufwarten. Jedoch das achtzehnte Kamel bei derartigen Konflikten zu finden ist die Kunst, die wir vermissen – nämlich konstruktiv zu verhandeln.
So verhalten sich die verhandelnden Parteien derzeit wie die drei Brüder – sie sollen den Regierungsauftrag umsetzen, sehen aber keine Lösungsmöglichkeit. Es stellt sich hier auch nicht die Frage, warum Konflikte auftreten – was alle Beteiligten leider gerade ununterbrochen thematisieren. Die Frage ist, wie man mit diesen Konflikten umgeht. Die derzeitige Neigung aller Parteien geht eher in die Richtung, sich über Streitpunkte zu profilieren und zu differenzieren. Sie konzentrieren sich damit nicht auf die Interessen des Landes und der Bürger, sondern auf ihre Positionen.
Das Geheimnis zur Beendigung von Konflikten
Dabei ist die Lösung sehr einfach! Ury hat während seiner Beratertätigkeit in politischen Konflikten herausgefunden: Das Geheimnis zur Konfliktbewältigung sind wir – als Partei, als Gesellschaft und auch jeder Einzelne von uns. Das ist gerade in Zeiten von Social Media eine wichtige Erkenntnis. Denn jede Person – ob privat oder öffentlich – kann/sollte eine konstruktive kommunikative Rolle übernehmen. Destruktive Äußerungen einzelner Parteien oder Wähler auf Facebook, Twitter und Co. führen nicht zur Lösung der Konflikte und zu gemeinsamen Vereinbarungen.
Die Buschmänner machen es uns vor
Die Buschmänner in Südafrika, die als Jäger und Sammler jede Menge Giftpfeile für die Jagd benötigen, gehen bei Konflikten wie folgt vor: Wenn gravierende Probleme auftreten, werden die Giftpfeile im Busch versteckt. Dann setzen sich alle zusammen und reden – reden solange, bis sie eine Lösung gefunden haben.
Leider wurden die Giftpfeile sowohl bei den Sondierungsgesprächen als auch bei den jetzigen Annäherungsgesprächen der großen Parteien nicht versteckt. Damit haben sie jede Chance vertan, Entscheidungsmöglichkeiten zum beiderseitigen Vorteil zu entwickeln.
Wenn die Stimmung während der Gespräche bei den Buschmännern zu aufgeheizt ist, schicken Sie den Aggressor zu Verwandten, damit er sich abkühlen kann – das heißt, er hat erst einmal Verhandlungspause. Dieser Punkt wurde und wird bei den parteipolitischen Verhandlungen zwar immer eingehalten – die Verhandlungspausen werden jedoch nur dazu genutzt, erneut emotional aufzurüsten und damit eine weitere Blockade herbeizuführen. Für alle Betrachter ist es daher unmöglich zu analysieren, welche neutralen Beurteilungskriterien zugrunde liegen bzw. gelegt werden können.
Die Funktion der Dritten Partei
Bei allen konfliktträchtigen Verhandlungen stehen sich immer zwei gegensätzliche Meinungen gegenüber wie Araber gegen Israeli, Management gegen Arbeiter, Ehemann gegen Ehefrau, Republikaner gegen Demokraten. Die Verhandlungspartner übersehen dabei schnell, dass es immer eine sogenannte „Dritte Partei“ gibt: Verbündete, Freunde, Familienmitglieder, Nachbarn.
Und die wichtigste und konstruktivste Rolle der dritten Partei ist die, daran zu erinnern, was auf dem Spiel steht: das Wohl der Gesellschaft, der Kinder, der Familie, der Zukunft. Spätestens nach dem Appell der Dritten Partei sollten alle Beteiligten aufhören zu streiten und beginnen, miteinander produktive Gespräche zu führen.
Fakt ist jedoch: stecken wir in einem Konflikt, verlieren wir schnell den Überblick. Es ist dann einfacher, nur zu reagieren. Ein Sprichwort sagt: Wenn Du wütend bist, hältst Du die beste Rede Deines Lebens, Du wirst sie jedoch bereuen. Und daran erinnert uns die Rolle der Dritten Partei!
Go to the Balcony
Eine weitere Methode ist „Go to the Balcony“ – hier jedoch nicht so wörtlich gemeint, wie wir bei den vielen Balkon-Bildern der Sondierungsgespräche gesehen haben. Ury sieht das als eine Möglichkeit des Perspektivenwechsels, um eine Lösung zu finden. Er nennt als Beispiel die Verhandlungen zwischen Russland und Tschetschenien, bei denen er als Vermittler tätig war. Die Sitzungen wurden immer schwieriger und eine Lösung schien nicht erreichbar.
Als die Emotionen immer mehr hochkochten, sagte der Vizepräsident von Tschetschenien zu Ury: „Sie sind Amerikaner, schauen Sie nur, was Sie in Puerto Rico gemacht haben.“ Ury hatte keine Ahnung, was er meinte und begann, ebenfalls emotional zu reagieren. Er besann sich jedoch rechtzeitig auf seine „Go to the Balcony-Methode“. Deshalb antwortete er: „Ich bedanke mich für Ihre Bemerkung und schätze die Kritik an meinem Land. Ich nehme es als Zeichen dafür, dass wir unter Freunden sind und offen miteinander reden können. Wir sind nicht hier, um über die Vergangenheit von Puerto Rico zu sprechen, sondern um einen Weg zu finden, das Blutvergießen in Tschetschenien zu stoppen.“ So lenkte er erfolgreich auf das eigentliche Thema zurück.
Und das ist die Rolle der Dritten Partei: Den Streitenden zu helfen, auf den „Balkon zu gehen“ und einen Perspektivwechsel herbeizuführen. Wer von den momentan verhandelnden deutschen Parteien hat die Fähigkeit das zu tun? Wahrscheinlich ist es nun die Rolle des Bundespräsidenten, als „Dritte Partei“ zu agieren, die Verhandelnden „auf den Balkon“ gehen zu lassen, damit sie sich auf die Interessen konzentrieren und Entscheidungen zum beiderseitigen Vorteil entwickeln: Viel Erfolg, Frank-Walter Steinmeier!
Bildquelle: Spiegel Online