Der Online-Marketing-Hype ist ungebrochen. Etats werden umgeschichtet – begeistert erzählt man sich in der Branche, wie wenig Streuverluste man doch in der Online-Werbung gegenüber der klassischen Werbung hat. Dass es immer noch keine validen KPI’s (Key Performance Indicator) gibt, vergisst man glatt. So können die Giganten Alphabet mit den Töchtern Google und YouTube nach Schätzung von Emarketer ungestört Werbeerlöse von ca. 80 Milliarden Dollar und Facebook ca. 35 Milliarden Dollar einfahren. Das heißt im Klartext: etwa 46 Prozent der weltweiten Online-Werbung liegt in den Händen zweier Giganten. Alle Welt schaut nun auf Brüssel, die 2,42 Milliarden Euro Strafe von Google fordern – letztendlich sind die Marketingfachleute selbst gefordert, ihre Etats richtig einzusetzen!
Die richtige Interpretation der Likes auf Facebook
Man weiß zwar, dass Likes nicht unbedingt etwas bringen, meistens fehlt aber der Beweis dafür. Grundlegend ging man bisher davon aus, dass Menschen starke Dissonanzen in der Wahrnehmung erleben, wenn ihre Handlungen nicht den eigenen Überzeugungen entsprechen. Also war die Schlussfolgerung, dass Nutzer, die eine Marke auf Facebook unterstützen (Likes, Follower) auch eher Produkte dieser Marke kaufen.
Die Harvard Business School hat in verschiedenen Untersuchungsreihen nachgewiesen, dass Likes keine Wirkung auf das Einkaufsverhalten für eine Marke haben.
Beispiel 1: In zwei Versuchsgruppen wurden Coupons für eine Gratisprobe verteilt: eine Gruppe hatte die Marke auf Facebook gelikt, die andere nicht. Ergebnis: Die Wahrscheinlichkeit, dass der Coupon eingelöst wurde, war in beiden Gruppen gleich.
Beispiel 2: Hier wurden über 700 Konsumenten, die kürzlich eine Marke gelikt hatten, nach E-Mail-Adressen von 3 Freunden gefragt. Jeder der 3 Personen erhielt unterschiedliche Informationen: Der 1. Person wurde gesagt, ihrem Freund gefalle die Marke (offline) und er habe den Gutschein geschickt! Der 2. Person teilte man mit, der Freund habe die Marke auf Facebook gelikt und den Gutschein geschickt. Die 3. Person war die Kontrollgruppe, hier wurde nur gesagt, dass der Freund den Gutschein geschickt habe. Ergebnis: Einlösequote bei der 1. Gruppe – die eine Offline-Affinität hatten 6 Prozent, bei der 2. Gruppe der Facebook-Likes 4 Prozent, in der Kontrollgruppe 5 Prozent! Die Likes hatten also keinerlei verstärkenden Einfluss!
Beispiel 3: Vitality – ein südafrikanisches Versicherungsunternehmen – bietet den Kunden umfangreiche Gesundheitsprogramme an. Die Menschen können für bestimmtes gesundheitskonformes Verhalten Punkte sammeln und diese dann in Belohnungen umwandeln. Auch hier war die Frage: Hat das liken der Facebook-Seite Einfluss auf das Nutzerverhalten? Ergebnis: diejenigen, die die Facebook-Seite gelikt hatten, haben nicht mehr Punkte gesammelt als die Kontrollgruppe.
Über Likes alleine erhalten die Kunden keine Inhalte in den Newsfeeds – das verhindern die Facebook-Algorithmen, um eine weitere Geldquelle zu erschließen: Anzeigen! Durch bezahlte Anzeigen können die Unternehmen die Algorithmen umgehen und ihre Inhalte so einer großen Zahl von Nutzern zugänglich machen. Vitality hat zwei Monate lang zwei Posts pro Woche bezahlt, mit dem Erfolg, dass die Gruppe mit den Anzeigen 8 Prozent mehr Punkte gesammelt hat! Ein organisches Wachstum der Fans über Interaktion – zum Beispiel Feedback – ist jedoch besser und wertvoller. Lego, Mymuesli, KLM sind einige Beispiele, die durch Kundenfeedback neue Produkte und Dienstleistungen entwickeln.
Google: von der Suchmaschine zur Suchtmaschine
Vorbei die Zeiten, in denen man über brave Suchmaschinenoptimierung und das Engagement entsprechender SEO-Agenturen seine Suchergebnisse bei Google positiv beeinflussen konnte! Wer heute leichter gefunden werden will, muss bezahlen!
Ein Beispiel ist booking.com – die Reiseplattform ist Premium-Kunde bei Google und dank der Dauerpräsenz über Anzeigen zu einer global bekannten Marke geworden. Viele Nutzer suchen nun direkt bei booking.com oder falls man es probiert mit den Suchworten „Hotel + München“ landet man mit dem nächsten Klick doch bei booking.com, und Google hat für diesen Klick schon längst von seinem Kunden abkassiert.
Doch macht man sich von Google derart abhängig wie Unister (ab-in-den-urlaub.de, fluege.de) – gerät man in Schieflage, weil man versäumt hat, organisch zu wachsen und sich entsprechende Stammkundschaft aufzubauen. Denn um die Anzeigen wird gebuhlt: wer oben steht entscheidet eine permanente Live-Auktion! Unternehmen, die mit zahlreichen Suchwörtern werben wollen, müssen für einen Klick schnell mal zwischen 1,30 und 1,70 Euro bezahlen. Die Chance, einen Klick jedoch in eine Buchung umzuwandeln stehen 1 : 100 – bei Reisepreisen von 700 – 900 Euro wird das schnell zum Verlustgeschäft!
Der Google-Algorithmus zeigt die wahre Macht des Giganten. Die Spielregeln, nach denen Suchergebnisse auf der 1. Seite erscheinen sind undurchsichtig und werden alleine von Googles Ingenieuren im Verborgenen entschieden. Öffentliche Dokumentationen hierzu gibt es einfach nicht. Nach einem Algorithmus-Update von Google rutscht man als Unternehmen schon gerne mal auf die Seite 2 oder noch weiter nach hinten. Man weiß jedoch, dass der geneigte Nutzer nicht bereit ist, über 10 Ergebnisse hinaus zu recherchieren.
Klassisch dem Algorithmus ein Schnäppchen schlagen
Was soll das Marketing nun tun? Führt kein Weg vorbei an Google? Es gibt positive Beispiele von Unternehmen, die ihren Online-Etat maßvoll bei Google einsetzen und sich über klassische Werbung ihre Fangemeinde schaffen.
Ziel muss doch sein, dass der Kunde bei Google nicht allgemeine Suchwörter eingibt, sondern den Firmennamen, weil er das Angebot schätzt und annimmt. Nur so kann man die Algorithmen umgehen. Gezeigt hat das unter anderem durch sein immenses Angebot ein Gigant wie Amazon, der Google richtige Probleme bereitet, da viele Nutzer inzwischen direkt auf die Amazon-Seite gehen.
Es gibt auch andere Beispiele wie weg.de, die zur ProSiebenSat.1-Gruppe gehören. Durch die Verbindung von klassischen Werbekampagnen, E-Commerce und Online-Marketingaktionen sind sie zu einem ernsthaften Mitspieler im Reisemarkt geworden. Oder die sehr kreative Idee von Burger King, die im Werbespot sagen, dass man in 15 Sekunden nicht alle Zutaten aufzählen kann und dann fragen: „Ok Google, was ist ein Whopper?“ Damit aktivierten sie in vielen Häusern die sprachgesteuerten Google-Home-Lautsprecher, die dann auch brav die Zutaten auflisteten.
Es wäre gut, wenn die Begeisterung für den Einsatz der sozialen Medien auf ein gesundes Maß reduziert würde. Denn eine aktuelle Umfrage unter 427 Vermarktern in US-Unternehmen hat gezeigt, dass 80 Prozent den Wert der Social-Media-Anstrengungen nicht beziffern können. Noch schlimmer allerdings ist die Tatsache, dass bei einer Untersuchung der „Fortune“-500-Unternehmen 87 Prozent der Marketingchefs keinen Beleg liefern konnten, durch soziale Medien neue Kunden zu gewinnen. Durch den richtigen Einsatz des Etats online und offline macht man sich ein Stück weit unabhängig von Algorithmen. Oder wollen wir demnächst den Chinesen wie Tencent oder Alibaba den Markt überlassen?
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